Sprung ins Haifischbecken

Hallo, ich bin es mal wieder. Es ist nun gut sieben Wochen her, dass ich über meine Panikattacken und Ängste schrieb. Vielleicht ist es an der Zeit einmal aufzuschreiben, wie sich einige Aspekte in meinem Leben bislang durch den Text verändert haben. Der ein oder andere hatte mich auch darum gebeten, Euch auf dem Laufenden zu halten. Also hier bin ich. Und das ist meine Geschichte.

Es gab viele Faktoren, die zur Veröffentlichung von Fledermäuse im Kopf führten. Wenn man so ein Problem hat – und das gilt vermutlich für jedes psychische Problem –, dann wird man dadurch sehr eingeschränkt, – jeder auf seine Weise, seinem eigenen Problem entsprechend. Bei mir war … ist es das Essen. Da es sich beim Essen aber um was komplett Alltägliches handelt, vermeidet man viele Situationen, die eigentlich das Potential zu viel Spaß in guter Gesellschaft haben. Man meidet zum Beispiel Feiern, zu denen man eingeladen wird, man überlegt sich Ausreden, warum man jetzt nicht bei der Freundin übernachten kann, man schränkt sich selbst enorm ein und nimmt einem selbst die schönen Dinge am Leben wie zum Beispiel das Reisen.

Reisen ist für mich beispielsweise ein riesen Thema. Es gibt so viele Orte auf der Welt, die ich unbedingt sehen möchte, dabei scheitert es oft schon an einer simplen Städtereise innerhalb von Deutschland. Im Mai hatte ich das Glück dank Freunden, die mir eine Karte besorgten, zum DFB Pokalfinale zwischen Borussia Dortmund und Bayern München zu fahren. Geil, denkt man sich da. Pustekuchen (das Ergebnis mal außen vor). Ich zögerte, da mir sofort alle möglichen Hürden in den Kopf sprangen. Aber fuck it, Pokalfinale, Borussia und gute Freunde! Drei Gründe (insbesondere der letztere), für die es sich lohnt an seine Grenzen zu gehen und darüber hinaus. Über Grenzen zu gehen, heißt Ängste überwinden. Aber Ängste überwinden, heißt nicht mit blutigem Zeigefinger ins Haifischbecken zu springen. Vielleicht doch eher in kleinen Schritten rantasten. Den Hai im Bewusstsein, erstmal kurz das Wasser testen. Sonderzug kam für mich schonmal nicht in Frage, weil es mich wiederum einschränken würde. Ich hätte nicht die Freiheit mir alleine was zu essen am Bahnhof kaufen zu können und es alleine im Zug zu genießen. Gut, also sündhaftteure Bahntickets kaufen: Freitagabend hin, Sonntagmorgen zurück. Allein das war schon ein Akt. Ein Zeitfenster finden, in dem es möglichst wenig Essenssituationen in Berlin gibt, aber auch gleichzeitig genug Zeit, um möglichst wenig Stress zu verursachen.

Okay, geschafft. Freitagnachmittag geht es los. Keine Panik. Ich komme abends in Berlin an, der Freund, bei dem ich übernachte, holt mich vom Hauptbahnhof ab. Wir sitzen noch ein bisschen in seiner Bude zusammen und reden, ehe die Müdigkeit gewinnt. Langsam ans Becken rantasten heißt es. Das Wasser ist okay, vielleicht ein bisschen frisch, aber passt schon.

Die Nacht ist unruhig, ich werde sehr früh wach – vielleicht so gegen 5 Uhr. Der Puls rast, ich zittere am ganzen Körper, ich kann nicht mehr einschlafen. Die Uhr tickt langsam, aber laut. Das Ticken bohrt sich geradezu in meinen Kopf. Und wenn wir von der Metapher des Haifischbeckens reden, dann ist er jetzt da: der Hai. Panik deluxe. Die Zeit vergeht, die Panik wird schlimmer. Irgendwann ist der Morgen da. Besagter Freund ist schon auf, in der Küche, duschen. Ich kann das nicht. Ich liege nur da und traue mich nicht aus dem Bett. Der mangelnde Schlaf, der rasende Puls, die pure Angst – sie machen mich anfällig. Ich habe Angst vor der Angst. Ich habe Angst, dass wenn ich jetzt aus dem Bett aufstehe, dann kippe ich um. Es fällt mir schwer darüber zu reden, ich sage nur: „Sorry, dass ich hier nur so rumliege, aber mir geht es gerade nicht so gut.“ Statt zu reden, schreibe ich lieber einem anderen Freund, den ich auch später beim Spiel sehen würde, wenn ich es denn packe. Wenn die Angst so brutal kommt, dann zieht man sowas durchaus in Zweifel, dass man es überhaupt zum Stadion schafft. Dass man die physische Kraft überhaupt aufbringen kann. Klingt fernab jeglicher Realität? Ist es leider nicht.

Nach einer Weile geht es. Ich finde zumindest die Kraft, um ins Bad zu gehen, zu duschen. Anschließend stehe ich in der Küche und kaue auf einem Brötchen rum, kriege es kaum runter, weil die Angst immernoch da ist. Der Hai sitzt mir im Nacken. Ich versuche langsam zu atmen und meinen Puls zu beruhigen. Ich schaffe das. Der Mittag und Nachmittag sind für dieses Thema eher weniger spektakulär. Eine Stadtführung durch Berlin sorgt aber für Ablenkung. Scheiß auf die Panik. Anschließend Ticketübergabe am Breitscheidplatz und dann geht es auch schon los zum Stadion. Gegessen seit dem „Frühstück“? Nichts (außer ein paar Apfelringen zwischendurch). Auf den Weg zum Stadion mache ich mich alleine. Die anderen treffe ich erst hinter den Einlasskontrollen. Angekommen am Stadion habe ich etwa eine Stunde Zeit, umgeben von Marketinggedöns auf dem Fanfest und abartigen Kombinationen wie zusammengenähten Halb-Bayern-Halb-Dortmund-Hummels-Trikots. Puh, okay. Erstmal was zu essen holen. Ich kaufe mir eine Riesenbrezel und setze mich an den Rand in den Schatten. Dann ist alles gut.

Es klingt so banal, aber ich habe es geschafft. Ich habe den Hai besiegt. Ich bin am Stadion, ich stärke meinen Magen. Alles ist gut. Der Abend mit Freunden im Block ist schön. Ich bin glücklich dabei zu sein. Und ein kleinwenig stolz. Ich habe es geschafft. (Keine Ahnung, wie das Spiel ausgegangen ist…)

Da es morgens früh im Zug zurück ins Ruhrgebiet geht, kaufe ich mir mein Frühstück beim Bäcker am Hauptbahnhof und genieße es auf der Rückfahrt. Als ich das letzte Stück nach Hause laufe, gönne ich mir noch eine Pizza. Die habe ich mir verdient. Selten hat eine Pizza so gut geschmeckt, wie nach einem Wochenende, an dem mir das Essen aufgrund von irrationalen Panikattacken schwer fiel.

Gut, eigentlich sollte der Text ein Blick auf die Dinge werden, die sich bislang verändert haben, stattdessen bin ich doch wieder woanders gelandet. Stattdessen habe ich rückblickend erklärt, welche Problematik für mich beim Reisen auftritt. Auch das ist wichtig. Vielleicht auch um zu verstehen, dass mir bspw. Auswärtsfahrten nicht so leicht von der Hand gehen wie anderen Menschen. Ich würde gerne, aber es ist eine große Hürde. Ich taste mich ran. Die Angst wird nicht gewinnen. Langsam ins tiefe Wasser und irgendwann wieder schwimmen.

One comment

  1. Stadtneurotiker · September 6, 2016

    Du scheinst auf einem guten Weg zu sein und zeigst sehr viel Mut.
    Vielen Dank, dass Du ihn mit uns teilst.
    Alles Güte weiterhin!

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